Die farbenfrohste Stadt der Welt: Impressionen aus Hanoi
Hanoi – Vietnam
Ein Hahnenschrei. Ich erwache im Dunkeln.
Der Jetlag sitzt mir in den Knochen.
Ich taste blind nach meinem Handy, um Licht zu machen, aber der Akku ist leer.
Ich habe keine Ahnung wie spät es ist, weil in den fensterlosen Raum in der Mitte des Hauses, in dem ich geschlafen habe, kein Sonnenstrahl dringt. Aber ich höre Stimmen aus dem Erdgeschoss. Jemand kocht und klappert mit Metallkesseln, Kinder maulen und schreien und der Fernseher summt dumpf im Hintergrund. Es muss morgen sein.
Müde krieche ich unter dem Mosquitonetz hervor und lege das Handtuch zur Seite, das mir auf einem nackten Holzbrett als Matratze gedient hat. Ich gehe die Treppe herunter und treffe in der Küche die Tante und die Mutter der Freundin, in deren Haus ich freundlicherweise wohnen darf, während ich in Vietnam bin. Sie sprechen kein Englisch und ich kaum Vietnamesisch, also verständigen wir uns durch Pantomime, wobei Lächeln und Umarmungen die hauptsächlichen Gesten sind.
Sie manövrieren mich an den Esstisch und stellen mir eifrig einen Teller mit frischen Reisküchlein und kleinen getrockneten Fischen vor die Nase. Gastfreundlichkeit geht auch hier, wie in fast jedem Land, durch den Magen. Die Kinder löffeln brav ihre Cornflakes, bis der Jüngste sie mit seinen Hausschuhen bewirft, was zu großem Geschrei und einer Rangelei führt, aber draußen ist es noch dunkel. Während wir zusammen frühstücken, englische Cartoons anschauen und die Frauen mit den Zwillingen schimpfen, wird es langsam heller. Es muss 5 oder 6 Uhr morgens sein.
Ich bin neugierig auf die Stadt und verabschiede mich, als meine Freundin aufsteht, direkt, um mit meiner Kamera die ersten Eindrücke von Vietnam einzufangen.
In der Luft hängt dicker Nebel. Die Stadt wirkt im Licht der Dämmerung wie von einen Vorhang aus Seide gehüllt. Draußen riecht es nach Erde, Regen und Rauch und die Stille des Morgens ist angenehm nach den lauten Kinderstimmen und Cartoons. Ich gehe über eine Brücke und betrachte das ruhige, dunkle Wasser.
Nebelschwaden und Durian-Duft
Ich kann hören, wie in den Wohungen rund herum die Leute langsam erwachen und mit der Zubereitung der ersten Mahlzeit des Tages beginnen. Man hört Töpfe klappern und der Geruch von Asche und Reis erfüllt die Luft.
Je weiter ich gehe, desto dreckiger werden die Straßen. Ich bin wohl in eines der ärmeren Viertel von Hanoi gelaufen. Überall liegen Kartons, Müll, Schrott, alte Textilien und Dinge, die Leute vielleicht noch benutzen, vielleicht aber auch nicht. Es regent leicht und die warmfeuchte Luft trägt mir beißende Gerüche zu.
Ein faltiger Mann kriecht unter einer Plastikplane hervor und beginnt auf offener Straße Feuer unter einem Kessel anzufachen. Neben ihm laufen wilde Hühner herum, die wohl bald der Inhalt des Kessels sein werden. Sie beäugen neugierig seine Aktivitäten, ohne zu ahnen, welches Schicksal ihnen droht.
Als ich weiter gehe, begegnen mir streunende Hunde, die in Müllhaufen nach Nahrung suchen und noch mehr Hühner, die hier überall zu sein scheinen. Ich höre ein Plätschern und entdecke erstaunt, wie jemand ungeniert in den Fluss pinkelt.
Hinter der nächsten Ecke erheben sich unerwartet große Steinskulpturen, die zu einem Tempel gehören. Um den Tempel herum ist es sauber und man riecht dort nur den Regen und einen Hauch von Räucherstäbchen.
Ich gehe durch das Tor und bewundere die roten Bögen und grünen Ziegeldächer, von deren niedrigen Rändern stetig das Wasser tropft. Im Tempel herrscht Ruhe und eine beruhigende Atmosphäre lullt mich ein. Auf den Altaren liegen allerlei bunte Opfergaben und wunderschöne Blumengestecke.
Als ich den Hof verlasse, haben inzwischen Händler ihre Stände am Straßenrand aufgebaut. Ich werde vom speziellen Duft der Durian-Frucht erschlagen und flüchte durch verschlungene Gassen, vorbei an unsortierten Gemischtwarenläden mit bunten Plastikbannern, vor denen Frauen mit Tragekörben voller frischer Früchte sitzen. Mitten auf den Straßen wachsen große Urwaldbäume, die sich einfach durch den Asphalt gebohrt haben.
Ich kaufe eine Tüte voll Ananas-Scheiben von einer sehr glücklichen Frau, die mir scherzhaft ihren Hut aufsetzt und Fotos mit und von mir machen will. Über uns hängen die Lianen eines gigantischen Urwaldbaumes herab. Der Regen hat aufgehört und die Luft erwärmt sich langsam. Die schwüle, feuchte Luft liegt schwer auf der Lunge und trägt den Geruch von nassem alten Holz mit sich. Ich bekomme einen Eindruck von ihrer harten Arbeit, als sie mir für das Foto zu dem Hut auch die Stange mit den zwei Tragekörben auf die Schulter legt.
Ich fühle mich in diesem Moment zum ersten Mal seit all meiner Reisen wirklich als unrechtmäßig priviligierter Tourist, dem es im Vergleich mit den Einheimischen wirklich besser geht, nur weil ich das Glück gehabt habe, in einem reichen Land geboren zu sein. Zwar habe ich selbst gemessen am deutschen Standart nur wenig Geld und reise nur mit einem minimalen Budget, aber selbst das ist durch den Wechselkurs der schwachen vietnamesischen Währung hier viel mehr wert als Zuhause. Und zumindest kann ich in Deutschland einfache Dienstleistungsberufe ausüben um mich über Wasser zu halten und muss nicht meinen Lebensunterhalt damit verdienen, auf Feldern hart körperlich zu arbeiten und mit schweren Körben durch die Stadt zu laufen, um die geernteten Früchte an den Mann zu bringen. Es kommt mir unfair vor, dass ich dieses Glück einfach so habe, und andere Leute nicht.
Natürlich sind nicht alle Menschen hier arm. Es ist lediglich das Fehlen eines sozialen Systems, das dazu führt, dass die Armut der finanziell schwächeren Schichten als so starker Gegensatz zum Lebensstil der Wohlhabenderen zutage tritt, die in großen, eingezäunten Villen in der Stadtmitte leben.
Sicherlich ist auch Vietnams historischer Status als französische Kolonie ein Grund dafür, warum die ökonomische Entwicklung noch nicht so weit voran geschritten ist, wie in anderen asiatischen Ländern. Die alten Prachtbauten in Hanoi erinnern allerorts an die geschichtliche Beziehung zu Frankreich und bilden optisch gleichzeitig einen interessanten kulturellen Mischmasch aus asiatischer und europäischer Architekur. Wenn man als Europäer nach Hanoi kommt, fühlt man die emotional geladene Geschichte noch in der Luft, besonders wenn man an Denkmälern und Museen vorbei kommt, von denen es in Hanoi nicht wenige gibt.
Mein Interesse gilt aber weniger der Geschichte von Hanoi, als seiner Gegenwart.
Ich bin hier, um eine Freundin zu besuchen, die ich in Japan kennengelernt habe, als wir an der gleichen internationalen Universität, der Ritsumeikan Asia Pacific University, studiert haben. Ich treffe mich mit ihr und anderen Studenten Mittags in einem Café vor einer großen, alten Kathedrale, wo wir zusammen braunen, süßen Tamarindensaft trinken, Sonnenblumenkerne knabbern und über die Zukunft unserer Länder und der internationalen Gesellschaft diskutieren.
Hundefleisch und Gebete für Weisheit
Eine neue Freundin geht nach unserem Treffen mit mir zum Literaturtempel Văn Miếu-Quốc Tử Giám, der zu Ehren von Konfuzius errichtet wurde. Wir bitten vor seiner Statue um Glück für unsere Prüfungen und kaufen uns Gegenseitig kleine Glücksbringer für unsere Abschlussarbeiten im Tempelshop.
Zurück daheim werde ich von meiner Freundin allen Verwandten und Nachbarn vorgestellt, wobei ich mit meinem eingeschränkten Vokabular nur jedes Mal “Hallo, schön Sie kennen zu lernen. Mein Name ist …” wiederholen kann. Aber alle sind sehr herzlich, amüsieren sich über meine Sprachversuche und mir wird überall sofort etwas zu Essen vorgesetzt. Schnell schnappe ich das Wort “Ang” für “Essen” auf, womit ich bei den folgenden Häusern damit beeindrucke, dass ich verstehe, was mir angeboten wird. Im Laufe des Tages probiere ich allerlei Nudelgerichte, so ziemlich jedes Körperteil von Schwein (“thit lon”) und Huhn (“ga”), große Fische, deren Augen mir als besondere Delikatesse dargeboten werden und schließlich angeblich sogar Hundefleisch, wobei ich mir immer noch nicht sicher bin, ob das nur ein Scherz war… Ich hoffe es…
Abends zeigen mir meine vietnamesischen Gastgeber ihre Stadt und führen mich durch das” Old Quarter” in Hanoi, das für das Chinesische Neujahrsfest “Tet” mit bunten Lichtern geschmückt ist. Auf dem Motorroller tuckern wir in einem Meer aus tausenden anderen Fahrern unter Reihen von sternförmigen Lampions hindurch und halten hier und da an farbig beleuchteten Sehenswürdigkeiten.
Die Legende des Schildkrötensees
Wir stoppen an einem großen See, über dessen schwarzes Wasser eine illuminierte rote Brücke führt. In diesem Hoàn Kiếm (“See des zurückgegebenen Schwertes”) genannten See lebte der Legende nach einst eine tausend Jahre alte, goldene Schildkröte, die einem Bauern ein magisches Schwert aus den Tiefen des Sees brachte, mit dem er seine Feinde, die Truppen der chinesischen Ming-Dynastie, die 1418 Vietnam angriffen, besiegen konnte.
Er wurde zum König und kehrte nach Jahren zurück zu dem See, um sich bei der Schildkröte zu bedanken. Als sie aus dem Wasser auftauchte rief sie: “Gib mir mein Schwert zurück!”. Seine Waffe erstrahlte daraufhin in hellem Licht und verwandelte sich in einen grünen Jade-Drachen, der in den See tauchte und verschwand.
Zu Ehren der Schildkröte und des Drachens errichtete der König einen kleinen Tempel auf der Insel in der Mitte des Sees, den man Thap Rua (“Schildkrötenturm” ) nennt. Angeblich lebt die Schildkröte noch immer in dem See und wird manchmal gesichtet. Falls man sie nicht sieht, kann man in den Souvenirshops in Hanoi auch lebende Schildkröten kaufen.
Schneckensuppe im “alten Viertel”
Zum Abschluss zeigen sie mir die besten Streetfood – Stände im alten Viertel, wo wir das traditionelle Pho (Nudelsuppe mit Koriander, Gemüse und gegrillter Schweinehaut) Hühnchenspieße und Schneckensuppe essen und die Nacht genießen.
Im Laufe der nächsten Woche lerne ich mehr von Vietnam kennen. Wir erkunden entlegene Dörfer,
besuchen eine andere Tante meiner Freundin, die eine Töpferei besitzt, und helfen ihr bei der Arbeit. Ihre drei kleinen Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren stellen sich dabei geschickter an als ich, den weichen Ton auf der kreisenden Töpferscheibe zu formen.
Wir fahren mit dem Motorrad auf dem dürftig betonierten Highway entlang, wobei wir durch Schlaglöcher rattern und der Schotter unter unseren Rädern knirscht. Unter uns fließen die zahlreichen Flüsse Hanois unter langen Brücken hindurch und runde Strohhüte tragende Bauern arbeiten mit Wasserbüffeln auf den Reisfeldern.
Tropfsteinhöhlenbesichtigung und Kayak-Fahrt in der Halong Bay
Mit einer japanischen Studentin und zwei anderen vietnamesischen Freundinnen machen wir einen Tagesausflug zur berühmten Halong Bay, wo ich die fantastischen Felsen im Meer bestaune.
Wir mieten ein Kayak und paddeln zu den unzähligen Höhlen im Gestein, durch die man unter den Felsen hindurch fahren kann. Ein Boot bringt uns später zu einer besonders großen Tropfsteinhöhle, deren Stalaktiten und Stalakmiten mit bunten Lichtern angestrahlt werden.
Nachdem wir die Höhle verlassen haben, kaufen wir Zuckerrohr von einem Händler am Landesteg und lutschen den süßen Saft aus den Fasern, während wir auf das Boot warten, das uns zurück bringen soll. Wir unterhalten uns auf Japanisch, lachen viel und ich fühle mich absolut am richtigen Ort.
Genau so möchte ich mein Leben leben: Neue Orte entdecken, neue Menschen kennen lernen und so viel wie möglich über all das lernen, was der Rest der Welt zu bieten hat. Asien ist wunderschön und ich kann es kaum erwarten mehr von der Region zu entdecken!
Vietnam ist ein magischer Ort wie kein anderer. Hanoi ist bunt, mysteriös und chaotisch, die Menschen offen, emotional und laut. Das türkisblaue Meer, die roten Tempel und Brücken, die schimmernden Lichter, der stille Nebel über den Seen und Flüssen und das beständige Hupkonzert der unzähligen Motorroller werden mir bestimmt ewig als schöne Erinnerung im Gedächtnis bleiben.
Cảm ơn Việt Nam! Đó là rất tốt đẹp!
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